Einsame Herzen

(eine Kurzgeschichte von Kirsten Nähle)

 

Montag

Endlich Sommer! Sie liebte diese Jahreszeit. Die warme Luft, das Zwitschern der Vögel und die gute Laune, die die Menschen um sie herum verströmten und die sie meist ansteckte.


Sie lächelte voller Zuversicht. Dieser Sommer würde anders werden. Besser. Denn diesmal wäre sie nicht allein. Es bahnte sich etwas an, das spürte sie. Ihr Herz klopfte, als sie ihren Laptop hochfuhr und sich auf „Kribbeln-im-Bauch.de“ anmeldete.


Seit zwei Wochen schrieben sie sich täglich. Es machte sogar Spaß, obwohl es monatelange Überzeugungskraft ihrer zwei Freundinnen gebraucht hatte, bis sie sich schließlich auf der Single-Plattform anmeldete.


„Da findest du bestimmt den Richtigen“, hatte Lisa behauptet. Dabei hatte sie ihren Max über Freunde kennengelernt.


„Was hast du schon zu verlieren?“, drängte auch Karin, die sich auf einer Salsa-Party in ihren späteren Ehemann verguckt hatte. Überhaupt kannte sie niemanden, der sein Glück im Internet gefunden hatte.


Aber sie war 37, ihre letzte Beziehung drei Jahre her, und die biologische Uhr tickte. Schließlich wollte sie unbedingt Kinder. Also hatte sie sich durchgerungen, angemeldet und sich nach gefühlt hundert dämlichen Anmachsprüchen seltsamer Typen auf das Chatten mit einem 40-Jährigen eingelassen, der passenderweise auch noch in derselben Stadt wohnte. Na, wenn das kein Zeichen war! Auch sein Profilbild war vielversprechend. Nach eigenen Angaben war er geschieden und hatte ein Kind.


Sie grinste, als sie sah, dass er geschrieben hatte, und öffnete den Chat. Er schlug ein erstes Date vor. Morgenabend in einem Café.


Sie zögerte. War es nicht zu früh für ein Treffen? Was, wenn er gar nicht so gut aussah wie auf dem Foto? Und war er nach seiner Scheidung wirklich schon wieder bereit für was Festes?
Andererseits verschwendeten sie ihre Zeit, wenn sie noch länger schrieben und erst dann herausfanden, dass sie sich nicht riechen konnten. Also sagte sie zu.

Dienstag

Er sah älter aus als auf dem Foto. Aber immerhin stand er auf, um sie zu begrüßen, und lächelte. Es war ein schönes Lächeln, wie ihr auffiel. Sie lächelte zurück und bestellte eine Weinschorle.


Er trank Bier, das seine Redseligkeit zu steigern schien. Humor hatte er, das gab schon mal einen Pluspunkt. Allerdings ließ er sie kaum zu Wort kommen und stellte ihr keine Fragen. Interessierte er sich überhaupt für sie? Klarer Punktabzug!


Sein Hauptgesprächsthema war sein kleiner Sohn. Okay, er mochte Kinder, das war gut. Aber ob er sich vorstellen konnte, noch welche mit ihr zu haben? Ach, vermutlich dachte sie mal wieder zu weit in die Zukunft.

Mittwoch

Kaum hatte sie das Handy am Morgen eingeschaltet, blinkte eine Nachricht von ihm auf. Er wollte sie wiedersehen, am liebsten schon heute. Ob sie nach der Arbeit Lust auf Schwimmbad habe, es sei doch so heiß.


Sie dachte an ihren Winterspeck und dass ihre Figur noch gar nicht bikinitauglich war. Daher schob sie vor, bereits etwas mit einer Freundin ausgemacht zu haben. So hatte sie Zeit, darüber nachzudenken, ob sich ein zweites Date überhaupt lohnte.

 

Optisch war er zwar ihr Typ, lustig fand sie ihn auch, doch irgendetwas störte sie. Seine Selbstzentriertheit, ja. Und die bewies er auch jetzt, als er ihr einen wütenden Smiley schickte.

Donnerstag

Er hatte schon wieder geschrieben. Gleich fünf Nachrichten. Musste der verzweifelt sein.


„Quatsch, der ist einfach aufmerksam, freu dich doch“, schimpfte Lisa.


„Du suchst auch immer nach Fehlern“, behauptete Karin. „Du solltest ihm schon noch eine Chance geben.“


Na gut. Was konnte man nach einem Treffen schon sagen? Sie schlug ihm vor, sich auf einen Brückenschoppen auf der Alten Mainbrücke zu treffen.


Er lehnte mit dem Hinweis, er trinke lieber Bier als Wein, ab. Biergarten sei bei der Hitze ohnehin besser, denn da gebe es Schatten. Sie ließ sich drauf ein. Schließlich trank auch sie ganz gern mal ein Bierchen.

Freitag

Das zweite Date. Im Biergarten also. Es war tatsächlich selbst ihr zu heiß, sodass der Schatten der Kastanien und das kühle Bier ihre wohltuende Wirkung nicht verfehlten.


Er redete, sie lachte. Bis er anfing, über seine Ex zu schimpfen, diese als gefühlskalt zu bezeichnen. Dabei musste mittlerweile jeder Single gehört haben, dass es ein Tabu war, bei einem Date über die Ex zu hetzen.


Das war´s, beschloss sie. Er ist nicht der Richtige. Zu viele Altlasten.


Als hätte er ihre Gedanken erraten, sagte er plötzlich: „Sorry, ich rede nur über mich. Und was interessiert dich meine Ex?!“


Sie bemühte ein Lächeln.


„Erzähl mir mehr von dir.“ Er zwinkerte ihr zu, was ihn sehr attraktiv wirken ließ. „Ich möchte alles über dich erfahren.“


Vielleicht hatte sie ihn zu früh aufs Abstellgleis geschoben.

Samstag

Sie trafen sich zu einer Radtour mit Picknick am Main. Es war sein Vorschlag, und sie liebte Fahrradfahren. Picknick sowieso.


Sie packte eine Flasche Wasser und Obst in ihren Rucksack. Er hatte zugesagt, sich um Käse und Baguette zu kümmern. Sogar an einen Wein hatte er gedacht.

 

„Dir zuliebe“, wie er ihr mitteilte, als sie es sich auf einer Wiese nahe des Flusses gemütlich machten. Sehr aufmerksam und romantisch, dachte sie, das kenne ich gar nicht von Männern. Warum mache ich es ihm eigentlich so schwer?


„Du musst unbedingt meine Tochter kennenlernen“, sagte er nach einer Weile.

 

Sie erschrak. War das nicht zu früh? Und hatte er nicht gesagt, er habe einen Sohn?
„Ich dachte, du hast einen Sohn.“

 

Er erstarrte. „Nein“, sagte er eine Spur zu laut für ihren Geschmack. „Wie kommst du darauf? Ich habe eine Tochter.“


Hatte sie ihm nicht richtig zugehört? Plötzlich lehnte er sich zu ihr und küsste sie auf den Mund. Viel zu feucht. Sie ekelte sich und drehte schnell den Kopf weg.

Sonntag

Sie hatte schlecht geschlafen. Es war aber auch eine Hitze! Selbst nachts kühlte es kaum ab.
Sie saß bei Kaffee und Müsli auf ihrem Balkon und ließ das gestrige Date Revue passieren.

 

Das mit seiner Tochter nagte immer noch an ihr. Je länger sie darüber nachdachte, umso sicherer war sie, dass er beim ersten Date von einem Sohn gesprochen hatte. Welch unangenehmer Moment. Und auch der Kuss hatte ihr überhaupt nicht gefallen. Er war ihr wie ein Ablenkungsmanöver vorgekommen und alles andere als romantisch gewesen.


Ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass mit diesem Typen etwas faul war. Doch was wusste ihr Bauch schon? Bei ihrem Ex hatte er sie ganz schön in die Irre geführt.


Es klingelte. Sie war überrascht, denn sie erwartete niemanden. Sie hatte sich auf einen ruhigen Lesetag gefreut.


„Ich bin´s“, tönte es aus der Gegensprechanlage. „Ich wollte dich überraschen.“


Na, das war ihm gelungen. Sie hatte überhaupt keine Lust, zu öffnen, doch wäre das nicht unhöflich?


„Komm rein“, hörte sie sich sagen und überlegte gleichzeitig, wie sie ihn schnell wieder loswurde.


Er überreichte ihr einen riesigen Blumenstrauß. „Für dich. Selbst gepflückt.“ Er strahlte sie an.


„Danke.“ Sie schloss die Tür hinter ihm. „Ich habe leider wenig Zeit.“ Sie versuchte, so bedauernd wie möglich zu klingen. „Ich fahre gleich zu meinen Eltern“, log sie. Aber der Typ war ja auch ziemlich aufdringlich.


„Kein Problem“, behauptete er. „Ich komme gerne mit. Dann kannst du mich ihnen gleich vorstellen.“


Sie vergaß einen Moment zu atmen. Und konnte auch nichts sagen. Falls das ein Scherz war, fand sie ihn nicht lustig, doch er hatte bei seinen Worten vollkommen ernst geklungen.


„Ich meine, jetzt, wo wir zusammen sind und du bald meinen Sohn kennenlernst, sollte ich auch deine Familie treffen, meinst du nicht?“


Sie spürte Panik in sich aufsteigen. Und Übelkeit. „Deinen Sohn?!“ Sie legte die Blumen ab. „Gestern war es noch deine Tochter.“ Der Typ war unheimlich. Er musste gehen. „Und warum glaubst du, wir sind zusammen?! Wir hatten drei Dates.“


„Eben. Und wir haben uns geküsst.“ Er zwinkerte ihr zu, was diesmal nicht charmant, sondern gestört wirkte.


Du hast mich geküsst. Da war kein Wir. Du musst jetzt gehen!“ Sie lief zur Tür zurück, um sie zu öffnen. Doch sie kam nicht weit.

 

Auf einmal wurde ihr Kopf ruckartig nach hinten gerissen. Sie schrie auf. Vor Überraschung, Schmerz und Entsetzen. Doch er zog weiter so fest an ihren Haaren, dass ihr Tränen in die Augen schossen.


 „Lass mich los, du Arschloch!“ Sie wandte sich um und gab ihm eine Ohrfeige.


Er brüllte vor Wut. Seine Augen funkelten. „Was fällt dir ein?!“ Er schlug ihr so heftig ins Gesicht, dass sie taumelte und Sternchen sah.

 

Sie fragte sich noch, wie zum Teufel sie schon wieder an den Falschen geraten konnte, da warf er sie zu Boden. Als sie um Hilfe rief, bekam sie erneut seine Faust zu spüren.

 

„Du verdammtes Miststück!“, drang seine Stimme wie aus weiter Ferne zu ihr. „Ich dachte, du wärst endlich die Richtige. Aber du bist so kalt wie meine Ex!“


Seine Ex, dachte sie. Ich hätte besser zuhören sollen. Und meinem Bauchgefühl trauen sollen.

 

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